Vom Vorschulkind zum Schulkind – ein Plädoyer für die Kindheit

Das Thema Vorschule – das liegt mir schon lange am Herzen und der Inhalt dieses Textes dazu schwirrt ebensolange in meinem Kopf herum. Heute, keine 48 Stunden vor dem ersten Schultag scheint der richtige Zeitpunkt darüber zu schreiben. Über diese Phase, vom Vorschulkind zum Schulkind – und wie wir diese begleiten können.
 

Vom Vorschulkind zum Schulkind

 
Unser Mittlerer wird ein Schulkind. Unser Sohn – den wir uns damals so sehnlich herbei gewünscht hatten. Der mit seiner freundlichen, sensiblen und aufgeschlossenen Art unser Leben bereichert. Irgendwie noch eine unglaubliche und dennoch sehr schöne Vorstellung.

Das letzte Jahr im Kindergarten war nicht immer leicht für unseren Sohn. Die Kids fingen an flügge zu werden – Rollenverhältnisse änderten sich und er musste lernen seine Stellung zu behaupten. Es flossen viele Tränen, wir führte viele Gespräche und nun nach 6 Wochen Ferien habe ich das Gefühl er ist gefestigt und gewachsen. Ein schönes Gefühl!

Das Vorschuljahr in Bayern bedeutet aber auch Vorschulunterricht. D.h. die Vorschulkinder bekommen einmal oder mehrfach die Woche gesonderten Unterricht. Machen Schwungübungen und mehr. Der genaue Inhalt des Vorschulunterrichts ist vom Konzept Kindergarten abhängig.

In unserem Kindergarten bestand dieser Unterricht aus vielen Ausflügen, Walderlebnissen und kreativen Projekten. Viele der Eltern waren damit nicht zufrieden. Sie wünschten sich mehr „echte“ Vorbereitung auf die Schule. Längere Phasen konzentriertes Arbeiten. Das Heranführen an Lesen und Schreiben. Doch warum?

 

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Warum vertrauen Eltern so selten auf die eigenständige Entwicklung des Kindes?

 

Kinder sind von Natur aus so neugierig und lieben es Neues zu lernen. Dinge zu erforschen und zu entdecken. Warum sollten wir diesen natürlichen Drang durch etwas zerstören oder eindämmen, was sie in dem Alter nicht von alleine tun?
Aus Angst sie könnten später im Unterricht nicht mithalten? Oder aus Angst die anderen Kinder könnten mehr als sie selbst?

Das Konzept unseres Kindergarten ist die Reggio-Pädagogik – diese sieht Kinder als eigenständige Persönlichkeiten:
In der Reggio-Pädagogik werden Kinder als eigenständige Persönlichkeiten gesehen. Wenn Sie nach diesem Bild vom Kind arbeiten möchten, nehmen Sie die Rolle der Vertrauten, Begleiterin, Zuhörerin und Beobachterin ein, während sich die Kinder in der Rolle der Künstler und Forscher verwirklichen und ausleben können. (Quelle: Pro Kita)

Ich finde diesen Ansatz wundervoll, denn er gibt den Kindern die Chance Dinge selbst zu entdecken. Eigene Neigungen zu entwickeln und Neues ganz ungezwungen auszuprobieren.

Unser Sohn kann seinen Namen schreiben und kleinere Rechnungen bis 20 im Kopf rechnen. Das wars! Nach mehr hat er nicht gefragt – und mehr haben wir daraufhin auch nicht versucht ihm zu vermitteln.

Er hat in den letzten Jahren aber einen super Ehrgeiz entwickelt durch den vielen, unterschiedlichen Sport, den er gemacht hat.
Unser Sohn hat ein unglaublich gutes, naturwissenschaftliches Wissen, denn er liebt es im Wald zu sein. Einen Nagel in Holz schlagen und mit einer Säge umgehen ist für ihn kein Problem mehr. Er kann sich in Konfliktsituationen zurücknehmen und für seine Freunde einstehen.

Er hat gelernt zu hinterfragen. Schlussfolgerungen zu ziehen und neue Lösungswege zu finden. Im Spiel mit Freunden, Erziehern und seinen Eltern.

All das hat er im Kindergarten und in der Zeit mit uns gelernt. Ich finde, damit hat er ein unglaublich gutes Rüstzeug für das, was in der Schule auf ihn wartet.

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Ein Plädoyer für die Kindheit

 
Warum sollte ich ihm also noch vor der Schule Wissen vermitteln wollen, das er in der Schule ohnehin lernt. Nicht umsonst heißt es ja VORSCHULE!

In der heutigen Zeit haben wir Eltern oft verlernt auf unser Bauchgefühl zu hören – und auf unsere Kinder. Wir lesen Ratgeber – suchen nach der besten Förderung für unser Kind und vergessen dabei oft, dass das alles doch in unseren Kindern steckt und wir ihnen nur die Möglichkeiten geben sollten, sich entfalten zu können.

Wenn wir ihnen diese Möglichkeiten geben – und ihre Kindheit unbeschwerte Kindheit sein lassen – mit all dem was dazu gehört – dann ist das in meinen Augen viel mehr wert als das Alphabet! Denn wir machen sie stark, geben ihnen Wurzeln und stellen keine Erwartungen an sie, die sie unter Druck setzen könnten.

Auch unser großer Sohn konnte zum Eintritt in die Schule weder Lesen noch Schreiben. Am Dienstag kommt er in die dritte Klasse. Er ist ein guter Schüler. Aufmerksam, verantwortungsbewusst und immer noch neugierig und wissbegierig. Schule macht im Spaß und er freut sich jeden Tag darauf.
Sicherlich war auch eine Portion Glück dabei, denn er hatte und hat tolle Lehrerinnen.

Und er hatte Eltern, die auf ihn vertrauen – ihm die Zeit geben, die er braucht um sich zu entwickeln.

Ich hoffe dies gelingt uns ebenso bei unserem Zweitgeborenen. Doch, ich glaube die Voraussetzungen sind recht gut.

 

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4 Kommentare

  1. Hallo Andrea,
    die Eltern sind Opfer eines neoliberalen, menschenfeindlichen Wirtschaftssystems mit mittlerweile entsprechendem Gesellschaftsmodell.
    Alles immer noch schneller, noch effizienter und noch produktiver. Wer dabei nicht mitkommt – selber schuld!

    Die Eltern lassen sich Angst einjagen, das Kind könnte ja auf der Strecke bleiben und durch die Maschen fallen.

    Der Druck wird bis an kleine Kinder weitergeben: mit 2 in den Kindergarten – egal ob der für so kleine Kinder geeignet ist, mit 5 in die Schule – egal, ob schulreif oder nicht, G8-Abitur mit super-verdichtetem Pensum und mit 20 den Bachelor, durch viel Auswendiglernen, ohne viel Verständnis – auch egal. Entwicklung der Persönlichkeit – wozu?
    Ist in der Wirtschaft nur hinderlich, da werden formbare Menschen verlangt, keine mit eigenen Werten und eigener Urteilsfähigkeit.

    Hauptsache ist – wirtschaftlich effizient. Die Wirtschaft ruft, das Erziehungswesen springt. Völlig egal, ob das angemessen ist für Kinder oder nicht.

    Also, bei Frontalunterricht im Kindergarten, z. B. , da graust es mir. Gerade die späte Kindergartenzeit ist total wichtig, weil die dort sehr geplant spielen und dafür alle Zeit brauchen.
    VG
    D.

    Antworten
    • Hallo Dirk, da hast Du jetzt aber ganz schön die Verallgemeinerungskeule rausgeholt, oder?
      Ich glaube mein Artikel zeigt genau das Gegenteil zu deiner Behauptung, oder?

      Antworten
  2. Na, ja, dass Du das nicht so siehst, wie ich es beschreibe, ist mir schon klar.

    Aber gerne zur Diskussion: unser Leben soll ökonomisch durchgetaktet werden. Es beginnt im Grunde im Kindergarten. Es ist meine Antwort auf die Frage, was Eltern verunsichert. Ist es falsch?

    Antworten
  3. Hallo liebe Andrea,

    ich stimme Dir voll und ganz zu.

    Bei uns in Hamburg haben wir als Eltern die Wahl zwischen dem Vorschuljahr in der Kita und dem Vorschuljahr in der Grundschule. Es gab und gibt in unserer Kita einige Eltern, die ihre Kinder in die Vorschule an der Grundschule schicken, damit sie schon jetzt das Lesen, Stillsitzen und konzentrierte Arbeiten lernen. Sie sollen das Jahr vor der Schule nicht „verschwenden“. So habe ich es tatsächlich gehört.

    Bei unserem Mittleren ist es derzeit tatsächlich so, dass er zu Beginn dieses Schuljahres schon von einigen Freunden aus der Kita verabschieden musste, weil diese in die Vorschule gekommen sind.

    Wir gehören im Moment zu den wenigen Eltern, die für ihre Kinder zum einen das Vorschuljahr in der Kita wollen (unsere Große ist in ihrem Vorschuljahr auch in der Kita geblieben) und zum anderen ihr „Kann“-Kind auch erst zum spätesten möglichen Zeitpunkt einschulen lassen werden. Natürlich werden wir genau beobachten, wie sich unserer Mittlere so macht und ob ihm ein früherer Einstieg ins Schulleben gut tun würde. Bisher sehen wir das jedoch nicht. Er ist zwar „plietsch“ und neugierig aber eben auch noch sehr verspielt und ein kleiner Eigenbrödler.

    Unsere Kita leistet im Vorschuljahr hervorragende Arbeit. Sie machen mit den ältesten Kindern (nun gehört unser Mittlere verfrüht auch schon dazu, weil so viele gegangen sind *lach*) zwei Werkstattvormittage, in denen sie spielerisch schon ein paar Zahlen, Buchstaben und ihren Namen schreiben lernen. Viel wichtiger ist jedoch, dass sie in dieser Zeit individuell gefördert werden, kleinere Aufträge im Kitaalltag übernehmen dürfen, besondere Ausflüge machen und ihr Selbstbewusstsein und die Selbständigkeit gefördert werden. Ich finde das große klasse.

    Damals bei unserer Großen hat dieses eine Jahr Wunder gewirkt und ich kann mir nicht vorstellen, dass sie das so individuell und liebevoll auch in der homogenen Struktur einer Vorschulklasse gehabt hätte.

    Ich bin deshalb absolut für die „Verlängerung der Kindheit“. Und ich habe keine Angst davor, dass meine Kinder Nachteile davon haben könnten, dass sie das Vorschuljahr in der Kita mit bunten Ausflügen verbringen. 🙂

    Lieben Gruß, Martamam

    Antworten

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